„Mensch, lach doch mal. Du musst echt lockerer werden. Trau dich mal!“
Ja, wer kennt sie nicht, solche Sätze. Noch ein paar mehr gefällig?
„Stell dich nicht so an. Du musst dir eine dickere Haut wachsen lassen. Du hast dir eben nicht genug Mühe gegeben. Du schaust immer so traurig, sei mal fröhlich! Du bist zu gestresst, zu laut, zu leise, zu anstrengend.“
Mein Favorit ist ja: „Du musst aus dir herauskommen“ - und dies hier ist vermutlich die ironischste Aussage: „Du musst authentisch sein“.
Solche Sätze sind schnell gesagt und in der Regel auch gut gemeint, aber statt dem gewünschten Ergebnis erreichen sie eher eine andere Botschaft, nämlich: „Du bist nicht okay, so wie du jetzt bist.“ Darf ich denn nicht traurig sein oder gestresst? Sicher habe ich einen guten Grund dafür. Vielleicht will ich ja gar nicht traurig sein, oder gestresst, aber ich kann es gerade nicht anders? Braucht es nicht viel eher Verständnis dafür, wie ich gerade bin, und dass mein Gegenüber mich an dieser Stelle abholt, anstatt mich schlecht zu machen? Denn auch, wenn es so schön klingt: Man kann meistens nicht auf Knopfdruck wieder vergnügt durchs Leben springen (oder die Therapeuten würden arbeitslos).
Manchmal ist das einfach so: Man ist traurig, oder anderes, und dann darf man das auch sein. Was ich meine, sind aber die Zustände, die für einen selbst und andere unangenehm sind, die man selber nicht gerne hat, in denen man nicht bei sich ist: Wären wir denn nicht alle gerne mutig, meistens gut drauf und wir selbst? Was es dann braucht, ist doch genau das: Zu fragen, was die Person braucht. Was sie braucht, um sich nicht so extrem (laut, ängstlich, ...) verhalten zu müssen.
Dass es Gründe gibt, warum sich jemand so verhält, wie er es tut, ist sicher. Nur sehen kann man sie oft nicht, und dann kommt man ins Werten - „jetzt ist die schon wieder so anstrengend!“ - „Merkt er nicht, dass er alle runterzieht mit seiner depressiven Stimmung?“ und so weiter. Dabei ist von diesem Er vielleicht gerade die Oma gestorben und zu Hause gibt es nur Streit. Wer weiß schon, was in einem Menschen alles vorgeht? Mit dem Wissen ist es leichter, Verständnis zu haben, aber meistens kennt man die Gründe nicht. Manchmal, oder oft, kennt die Person sie sogar selbst nicht.
Es kann nerven, wenn jemand zum Beispiel „zu laut“ ist und damit aneckt - dann darf und soll man als das Gegenüber natürlich auch seine Grenzen ziehen. Besser ist es meiner Erfahrung nach, dies dann direkt in der Situation deutlich zu sagen, als einen generellen Satz rauszuhauen, à la „Du bist immer so laut“ (der hat nämlich viel mehr Wertung). Und dann kann man sich überlegen, was der andere brauchen könnte. Möglicherweise ist er so laut, damit ihm endlich mal jemand richtig zuhört. Ich kenne das von einem Kind aus der Krippe: Es hat Grenzen überschritten, wo es nur ging, aber wenn es allein mit einem Erwachsenen war, wurde es durch die dann gegebene Aufmerksamkeit deutlich ruhiger.
Ist das nicht schön? Im Grunde erreicht man das Ergebnis, was sich das Gegenüber mit den verfluchten Sätzen auch wünscht, aber der Weg ist anders, nämlich sanfter und wertschätzender. Wir können uns gesehen fühlen und entspannen, und sind freier, auch freier, wir selbst zu sein: Authentisch. Wir müssen es nicht, wir dürfen es. Und das ist doch das größte Geschenk, oder?
Lia
13. Klasse Sozialwesen
Nachtrag zum Thema „aus sich herauskommen“:
Eine lebenserfahrene Person gab mir einmal eine erstaunliche Betrachtungsweise dazu, als sie sagte, es gehe doch vielmehr darum, in sich hinein zu gehen, zu sich zu kommen, um wirklich präsent zu sein. Genau das passiert ja zum Beispiel auch in der Psychotherapie, wenn man abgespaltene Anteile wieder zu sich holt, lernt sich wieder selbst zu spüren, für sich einzustehen, im Körper zu sein und in sich zu ruhen. Ich finde diese Betrachtung sehr schön und habe sie seither übernommen.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen